Digitaler Ethik-Blocktag am Fachbereich Sozialwesen zur Corona-Ethik

Als eine der ersten Veranstaltungen an der EAH Jena im neuen Jahr 2021 führten Prof. Dr. Markus Hundeck und Prof. Dr. Michael Opielka gemeinsam am 19. Januar nun zum dritten Mal durch den Ethik-Blocktag des Fachbereichs Sozialwesen. Der Ethik-Blocktag richtete sich in erster Linie an die Teilnehmer*innen des Moduls „Ethik und Soziale Arbeit“. Dieses Modul gehört für Studierende im 7. Semester des Bachelorstudiengangs „Soziale Arbeit“ zum Curriculum. Um über ethische Dilemmata und verantwortungsvolles Handeln zu diskutieren, waren über 100 Personen der Einladung der beiden Organisatoren gefolgt, darunter auch interessierte Studierende und Kolleginnen und Kollegen der Hochschule.

Nachdem im vergangenen Jahr zum Blocktag das Thema Medizin-Ethik auf dem Plan stand, galt dieses Jahr dem hochaktuellen und vielschichtigen Thema Corona-Ethik. Ethische Kontroversen bietet die Corona-Pandemie mit Themen der Allokationsethik reichlich, wie der Priorisierung, Rationierung und einer gerechten Zuteilung von Mitteln. Zu diesen umstrittenen Debatten zählen u.a. die nationale und internationale Verteilung von Impfstoff, Intensivbetten oder Masken. Die Corona-Ethik beherrscht damit die Diskurse um Impfpflicht, Triage, „Immunitätsausweisen“, aber auch um soziale Ungleichheit, Geschlechtergerechtigkeit, Inklusion oder Arbeitsrecht. Drängende ethisch abzuwägende Entscheidungen betreffen zudem die Selbstbestimmung, Freiheitsrechte, Eigenverantwortung der Individuen mit gleichzeitigem Fokus auf gesellschaftliche Solidarität und Gemeinwesen.
Aufgrund des Pandemiegeschehens konnte die Veranstaltung nicht wie gewohnt in der Aula der EAH Jena stattfinden. Die Organisatoren entschieden sich deshalb für die Durchführung einer digitalen Konferenz über die Plattform BigBlueButton. Den Auftakt der Veranstaltung machte der Rektor der EAH Jena Prof. Dr. Steffen Teichert. In seinem Grußwort lud er die Studierenden dazu ein, das brisante Thema aus der eigenen Betroffenheit, aus dem geschützten Raum der Hochschule und ohne Entscheidungsdruck mit den geladenen Expertinnen und Experten zu diskutieren. Bald schon müssten die heute teilnehmenden Studierenden als dann staatlich anerkannte Sozialarbeiter*innen in ihrem beruflichen Alltag mit den Auswirkungen der Pandemie umgehen. Im Gegensatz zu den ethischen Handlungsideen von heute würden die späteren professionellen Abwägungen und Entscheidungen der Studierenden dann Konsequenzen für andere Personen(-gruppen) haben, gab der Rektor zu Bedenken.

Gefolgt von den Grußworten des Rektors und der Aufforderung der beiden Organisatoren in ihren einleitenden Kurzvorträgen, die eigene Profession, eigene Einstellungen bzw. das eigene Handeln im Sinne eines ethischen Vorgehens auch immer wieder in Frage zu stellen, startete die Gruppenphase. Hierzu wurden fünf verschiedenen Input-Themen angeboten, wobei sich die Studierenden und interessierten Teilnehmer*innen in „Semi-Open-Space“-Gruppen (SOS-Gruppen) trafen. Im Unterschied zu sich spontan konstituierenden „Open-Space“-Gruppen waren die SOS-Gruppen zum Ethik-Blocktag vorbereitet, weil die eingeladenen wissenschaftlichen Expertinnen bzw. Experten ein Anliegen durch ihre Beiträge übernahmen. Für die Gäste der SOS-Gruppen bestand die Möglichkeit zwischen den Gruppen und Themen wie auf einem Marktplatz zu flanieren, d.h., sich unter dem entsprechenden Link bei BBB ein- und auszuloggen. Als interdisziplinäre Input-Geberinnen konnten u.a. Prof. Dr. Claudia Beetz und Prof. Dr. Nicole Harth vom Fachbereich Sozialwesen gewonnen werden. Prof. Dr. Beetz, von Haus aus Juristin, diskutierte mit den Studierenden zu den rechtlichen Aspekten der Corona-Ethik und ging dabei u.a. der Frage auf den Grund: „Corona und Arbeitsrecht – darf man einfach zu Hause bleiben, wenn man Angst vor Ansteckungen hat?“. Prof. Dr. Harths Beitrag beschäftigte sich mit dem Thema: „Das Virus und Wir: Die Covid-19 Pandemie aus den Augen der Sozialpsychologie“. Einen weiteren spannenden Einblick gab Prof. Dr. med. Johannes Winning vom Fachbereich Gesundheit und Pflege. Mit Blick auf seine Tätigkeit als Leiter des Studiengangs Rettungswesen/Notfallversorgung sowie als Leiter des Fachbereichs Notfallmedizin am Universitätsklinikum Jena diskutierte er in seiner SOS-Gruppe zu „Medizin und Corona“. Prof. Dr. Markus Hundeck hingegen näherte sich der Thematik anhand der Fragestellung „Schulden wir einander Solidarität in der Corona- Krise?“ Auch Prof. Dr. Michael Opielka setzte sich mit den Studierenden in seiner SOS-Gruppe mit dem spannenden Aspekt „Verschwörung und Verschuldung: Politische Ethik und Corona“ auseinander.

An die SOS-Gruppen schloss sich ein sehr anregendes Podiumsgespräch der fünf mitwirkenden Professor*nnen unter der sehr lebendigen und Kontroversen liebenden Moderation von Prof. Opielka. Hier wurden die Erkenntnisse der SOS-Gruppen zusammengetragen und die Diskussion unter Beteiligung des Chats sowohl auf dem Podium wie mit den Teilnehmer*innen fortgeführt. Nach der Mittagspause trafen sich die Teilnehmer*nnen in Kleingruppen (Break-Out-Räumen) zu einer Themenreflexion. Unter Moderation von Prof. Hundeck und mit der Beteiligung der Professoren Winning und Opielka berichteten die Teilnehmer*nnen aus den Gruppen, in denen sie sich mit den Auswirkungen der Pandemie in ihrem künftigen Berufsalltag auseinandersetzten. In diesem Zusammenhang sahen zahlreiche Studierende die Zunahme von sozialer Ungerechtigkeit, häuslicher Gewalt, Einsamkeit und Zukunftsängsten als wesentliche Problemstellungen ihrer künftigen Profession der Sozialen Arbeit. Aber auch die Mehrbelastung in der Kinder- und Jugendhilfe, Verteilungskämpfe um finanzielle Mittel oder die Streichung von stark benötigten sozialen Angeboten gehörten zu den Herausforderungen, die die Studierenden in den Gruppen zusammentrugen. Der Wunsch der Studierenden nach einer nachhaltigen und gut ausformulierten Krisenkommunikation und -planung und nach nachvollziehbaren, gemeinschaftlichen und vorauschauenden Konzepten der Pandemiebewältigung wurde geäußert. Wichtig war den angehenden Sozialarbeiter*innen ebenso die Vertretung der Belange aller Not leidenden Interessengruppen, insbesondere von Bedürftigen oder Personen ohne starkes Sprachrohr ( z.B. Menschen mit Behinderung oder Alleinerziehende) wie auch das solidarische Miteinander.

Die Studierenden erlebten die verschiedenen Spannungsfelder der Corona-Ethik, den interdisziplinären Austausch sowie die verschiedenen Sichtweisen der Experten aus den einzelnen Disziplinen der Ethik in der Sozialen Arbeit, Medizin, Psychologie, Rechtswissenschaften, Soziologie und Theologie als äußerst bereichernd. Die konkreten Beispiele aus der Praxis und den verschiedenen Fachperspektiven halfen den Studierenden, die oft als abstrakt wahrgenommenen Themen und die ethischen Abwägungen der Corona-Maßnahmen zu verstehen und die Sichtweisen anderer Disziplinen nachzuvollziehen. In den interdisziplinären Diskussionen wurde ihnen vermittelt, wie komplex der Balanceakt zwischen individueller Freiheit, Persönlichkeitsrechten und kollektiver Verantwortung ist.

Zum Abschluss der Veranstaltung am Nachmittag bedankten sich die beiden Organisatoren und Input-Geber bei allen Mitwirkenden und den Studierenden für ihre spannenden Beiträge, ihre bereichernden Perspektiven und wertvollen Nachbetrachtungen.

Die Veranstaltungsbeiträge wurden auf Video aufgezeichnet und können unter dem folgenden Links aufgerufen werden: das Eröffnungsplenum mit Grußwort des Rektors und den Inputvorträgen der Professoren Hundeck und Opielka unter https://nc.eah-jena.de/s/fpX5LDWLec2Fkkk, das Video des Podiumsgesprächs finden Sie hier https://nc.eah-jena.de/s/onoNXaw2fwTFoYs und nochmal zum Nachlesen finden Sie das Programm des Blocktags Corona-Ethik https://nc.eah-jena.de/s/gs2ArHN8kLQ3pKZ

Susi Streit (FB Sozialwesen)

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